Freiheit zum Tod: Sterbehilfe seit 2020 legal – und trotz allem ein Tabuthema
Frankfurter Rundschau
Die Hilfe beim Suizid ist seit zwei Jahren nicht mehr strafbar. Das muss so bleiben. Ein Leitartikel zur Sterbehilfe.
Das Karlsruher Urteil zur Suizidbeihilfe von 2020 gilt als historisch. Das Bundesverfassungsgericht stellte zweifelsfrei fest: Es gibt ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben – einschließlich der Freiheit, sich dabei von Dritten helfen zu lassen. Seither dürfen Vereine wie Dignitas Deutschland wieder Menschen dabei unterstützen, sich zu töten.
Genau das hatte der Gesetzgeber verhindern wollen. Eine Mehrheit im Bundestag kriminalisierte im Jahr 2015 eine „geschäftsmäßige“, also wiederholte „Förderung der Selbsttötung“. Das war fahrlässig und ignorant – weil gegen den vielfachen Rat rechtskundiger Fachleute und gegen den Willen einer breiten Öffentlichkeit, wie Umfragen belegen. Eine Anmaßung. Und so kippte das Bundesverfassungsgericht den Strafrechtsparagrafen 217 und stellte die vormals geltende liberale Rechtspraxis wieder her.
Viele Gegnerinnen und Gegner der Sterbehilfe haben die verdiente Klatsche aus Karlsruhe nicht verkraftet. Nun blühe wieder „das Geschäft mit dem Tod“, klagen sie mit Blick auf den Verein Sterbehilfe, Dignitas und die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben, die im vergangenen Jahr fast 350 Menschen beim Sterben begleitet oder Suizidhilfe vermittelt haben. Überwiegend Schwerstkranken, auch einigen „lebenssatten“ Hochbetagten, was laut Urteil legal ist. Denn dem Staat stehe es nicht zu, über die Motive von Menschen für einen freiverantwortlichen Tod zu urteilen.
Für Sterbehilfe-Opponenten ist das Karlsruher Urteil ein juristischer Unfall. Eine Gruppe um die Abgeordneten Lars Castellucci (SPD) und Ansgar Heveling (CDU) wirbt nun allen Ernstes für einen neuen Paragrafen 217. Der würde wieder absurd hohe Hürden für eine Suizidassistenz aufbauen. Dieser dreiste Vorstoß missachtet, was das Bundesverfassungsgericht in seinem einstimmigen Urteil festgestellt hat: Der Gesetzgeber darf die Sterbehilfe zwar regulieren, aber die Möglichkeiten einer assistierten Selbsttötung nicht „faktisch entleeren“- sprich alle legalen „Notausgänge“ für sterbewillige Menschen versperren. Das verstieße gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht.
Diese Abgeordneten sind dem illiberalen Welt- und Menschenbild verhaftet, wonach jene, die auf ihrem Freiheitsrecht bestehen, vor sich selbst und möglichen Helfer:innen geschützt werden müssen. Dabei lässt sich mit Blick auf die nierige Zahl von „Freitodbegleitungen“ unschwer festzustellen, dass in Deutschland keine „Dämme gebrochen“ sind. Selbsttötungen sind nicht zu einer achselzuckend hingenommenen „Normalität“ geworden.