
Französische Unternehmen: Raus aus Russland oder bleiben?
DW
Seit Russlands Angriff auf die Ukraine wächst der Druck auch auf Frankreichs Unternehmen, sich aus dem russischen Markt zurückzuziehen. Die stehen vor schwierigen Entscheidungen.
Seine virtuelle Tour durch die Parlamente der USA, Großbritanniens oder auch Deutschlands in den vergangenen Wochen nutzte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj vor allem dazu, für mehr Waffenlieferungen und Unterstützung angesichts der russischen Invasion seines Landes zu werben. Bei seiner Videoschalte vor dem französischen Parlament vergangenen Mittwoch jedoch nahm er gezielt die französische Wirtschaft ins Visier.
"Französische Unternehmen sollten Russland verlassen", forderte der 44-Jährige, wie immer in khakifarbenem T-Shirt und mit der gelb-blauen ukrainischen Flagge im Hintergrund. "[Autobauer] Renault, [Supermarktkette] Auchan und [Baumarktkette] Leroy Merlin müssen damit aufhören, die Sponsoren der Kriegsmaschine Russland zu sein – Werte sind wichtiger als Gewinne." Dann rief er zum weltweiten Boykott Renaults auf. Der Autobauer kündigte daraufhin noch am Abend an, die Aktivitäten in seinem einzigen Werk in Russland einzustellen. Außerdem will das Unternehmen seine 68-prozentige Beteiligung am russischen Hersteller Avtovaz - dem Hersteller der traditionellen Marke Lada - "überdenken". Dabei ist die Schließung von Werken in Russland keine einfache Entscheidung - und könnte für den Westen sogar kontraproduktiv sein, sagen nicht nur die Unternehmen selbst, sondern auch französische Ökonomen.
"Wir haben die Situation seit Anfang des Einmarsches beobachtet, doch nun war es einfach nicht mehr vertretbar, unser Geschäft dort unverändert beizubehalten - auch, weil der Krieg sich wohl lange hinziehen wird", sagt ein Sprecher von Renault zu DW. Dabei habe diese Entscheidung tiefgreifende Konsequenzen: Die Unternehmensgruppe, die zu 15 Prozent dem französischen Staat gehört, hat ihre Gewinnprognose für dieses Jahr von vier auf drei Prozent gesenkt. Und das Schicksal der 45.000 Angestellten des Unternehmens vor Ort sei nun ungewiss - obwohl Renault zunächst deren Löhne weiter auszahlen wird.
Den Faktor Personal werden viele in Russland tätige französische Unternehmen bei ihrer Entscheidung, zu gehen oder nicht zu gehen, mit einbeziehen müssen. Denn französische Unternehmen sind laut Frankreichs Wirtschaftsministerium dort der größte ausländische Arbeitgeber: mit 500 Filialen in Sektoren wie Energie, Großhandel oder auch der Lebensmittelbranche und insgesamt 160.000 Angestellten. "Französische Unternehmen sind oft im beschäftigungsintensiven Servicesektor tätig - anders als deutsche oder italienische", sagt Julien Vercueil, auf Russland spezialisierter Ökonom und Vizepräsident des Nationalen Instituts für orientalische Sprachen und Zivilisationen in Paris, zu DW.
So auch Leroy Merlin mit seinen rund 100 Läden und etwa 45.000 Mitarbeitern in Russland. Weil das Unternehmen diese Aktivitäten bisher beibehält, erntet es nicht nur von Selenskyj scharfe Kritik: Es fanden Demonstrationen in Frankreich und Polen statt. Sogar die eigenen Mitarbeiter in der Ukraine forderten, nachdem bei einem Bombenangriff auf eine Filiale in der Hauptstadt Kiew acht Menschen getötet worden waren, in einer Online-Petition den sofortigen den Rückzug des Unternehmens aus Russland. Doch die Muttergesellschaft Adéo entgegnet in einer Pressemitteilung: "Wir haben eine Verantwortung gegenüber unseren Angestellten und deren Familien." Eine Schließung der russischen Läden wäre gar kontraproduktiv, heißt es: "Es wäre die vorprogrammierte Pleite, die zur Enteignung führen würde, was den Finanzen Russlands zuträglich wäre."
