Erdgas für Europa: Afrika rückt nach
DW
Europa schaut bei seinen Erdgasimporten verstärkt nach Afrika. Auch russisches Gas könnte so ersetzt werden - mittelfristig. Das Potenzial ist noch lange nicht ausgeschöpft.
Mit einem Schlag hat sich die Ausgangslage geändert: Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine zwingt Europa, seine Energieversorgung zu diversifizieren. "Deutschland und Europa müssen jetzt schnell nachholen, was sie in den letzten zwanzig Jahren verpasst haben", erklärt Stefan Liebing, Vorsitzender der Afrika-Vereins der deutschen Wirtschaft, in einer Pressemitteilung - und rät Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck zu einer Reise nach Afrika: Länder wie Algerien, Nigeria, Ägypten und Angola könnten demnach helfen, Europa aus der Abhängigkeit von russischem Gas zu befreien.
Das nordafrikanische Land Algerien ist der zehntgrößte Gasproduzent weltweit. Die im Jahr 2021 von dort exportierten Ladungen Flüssigerdgas - bekannt als LNG-Gas ("liquefied natural gas") - waren größtenteils für die europäischen Märkte bestimmt. Damit gehört Algerien - neben Russland - zu den fünf wichtigsten LNG-Exporteuren nach Europa.
Seit dem Kriegsausbruch zwischen Russland und der Ukraine hat Algerien zwar seine Bereitschaft bekundet, die Exporte von Erdgas und Flüssiggas zu erhöhen, allerdings befinden sich laut Alice Gower, Direktorin für Geopolitik und Sicherheit bei der Londoner Denkfabrik Azure Strategy, die algerischen Reserven am Boden. "Anfang dieses Jahres wurde zwar ein umfangreiches Investitionspaket für einen Zeitraum von fünf Jahren angekündigt, aber das bedeutet nicht, dass Algerien jetzt kurzfristig einspringen kann", sagt Gower im DW-Interview.
Dabei könnten die beiden federführenden Energiebetreiber, die spanische Naturgy und die algerische Sonatrach, die Kapazität der Medgaz-Pipeline mit wenig Aufwand erhöhen. Diese bindet Algerien direkt an Spanien an. Aber Algerien habe gar nicht die Kapazität, um diese Pipeline mit genügend algerischem Gas zu befüllen, so Gower.
Algerien hätte außerdem mit der kapazitätsstarken Maghreb-Europa-Gaspipeline (MEG) noch eine ganz andere Möglichkeit, mehr Flüssiggas nach Spanien und Portugal zu pumpen, sagt die Expertin. Doch diese Leitung läuft durch Marokko. Und politische Spannungen zwischen Algier und Rabat haben im vergangenen Oktober dazu geführt, dass der Vertrag zwischen Sonatrach und dem marokkanischen Energieministerium nicht erneuert wurde. Hauptproblem für Algerien war dabei laut Gower, dass Algier nicht einverstanden war, wie bisher zehn Prozent der Gaseinnahmen als Gebühr an das Königreich Marokko abzuführen.