Ensemble Modern spielt „Pygmalia“: Auf der anderen Seite
Frankfurter Rundschau
Manos Tsangaris’ „Pygmalia“ in der Uraufführung durch das Ensemble Modern in der Alten Oper Frankfurt.
Es ist ein alter Hut der Gestaltpsychologie und Rezeptionsästhetik: Schon die direkte Wiederholung eines in die Sinne fallenden Phänomens wird beim zweiten Mal anders wahrgenommen. Und das erst recht, wenn der Kontext des Ereignisses sich ändert. Komponist Mauricio Kagel hatte aus solchen Erfahrungen Honig gesogen und die These beglaubigen können, dass jeder Bezug, etwa von Bild und Ton, egal ob gewollt oder nicht, immer eine Bedeutung ergibt. Sein Schüler Manos Tsangaris nutzt dieses Kapital in seinen Werken, wo er fast alle Medien integriert. Das Selbstschöpfungspotential der Hörenden ist bei dem 66-Jährigen gewissermaßen ein eigenständiger Parameter geworden.
Die Rede ist von „Pygmalia“, das vom Ensemble Modern in der Alten Oper Frankfurt nun in zwei Konzerten jeweils zweimal hintereinander (ur-)aufgeführt wurde. Auf einem Podium, das in der Mitte des Mozart-Saals positioniert war, wodurch sich zwei sich zugewandte Zuschauerblöcke ergaben. Spiegelbildlich waren auf dem Podest auch die Musiker und Musikerinnen postiert.
Dazu kamen mediale Attribute wie Schrift, Filmprojektion auf Koffer und Körper, aus Tütenbehältnissen Gefilmtes, Beleuchtung an Cello-Bögen und über Köpfe und Gesichter geführte Leuchtmittel sowie Mikrofonkommandos und Einspielungen vom Band. Das Geschehen atmete den Geist des neo-dadaistischen sowie post-happeninghaften Instrumentalen Theaters und versuchte sich mit dem Titel eines mythologischen Zusammenhangs zu versichern. Die weibliche Form des Pygmalion war zeitgeistig korrekt und vorhersehbar. Allerdings kam man eher auf die Fährte des Orpheus-und-Eurydike-Mythos, denn mehrfach ertönte Musik aus der Oper Christoph Willibald Glucks. Der Abend profitierte von der klangvollen Vokal-Präsenz Marielou Jacquards (mit verstärkendem Headset) und Harald Hieronymus Heins sowie dem gewohnt pointierten Ensemble Modern.
Nach dem ersten Durchlauf musste das Publikum die Zuschauerseite wechseln, was den Spiegelbildeffekt auch zu einem von Vorder- und Rückseite des bis dato nicht Gesehenen und anders Gehörten machte. Der musikalische Anteil des Ganzen – ein unaufgeregtes heterophones Klanggeschehen – gewann mit dem zweiten Durchlauf nicht wirklich. Aber natürlich wurde man sich seiner disparaten Aufmerksamkeit bewusst, wie es bei jedem Nachhören, -lesen und -sehen eines Vortrag, eines Textes, eines Films der Fall ist. Insofern passte der Abend ins Format jener neuen Reihe der Alten Oper, die gerade mit „2 x Hören: Schumann“ und „2 x Hören: Ives“ begonnen hat.