Eiswasser in den Adern
Süddeutsche Zeitung
Joe Burrow führt die Cincinnati Bengals zur ersten Finalteilnahme seit 33 Jahren - mit einer coolen Selbstsicherheit, die man nur noch selten sieht im Profisport. Im Super Bowl gegen die Rams kann er etwas ganz Besonderes schaffen.
Jetzt mal ehrlich: Wie cool ist dieser Joe Burrow eigentlich? Der Quarterback hatte die Cincinnati Bengals gerade zum ersten Mal seit 33 Jahren in den Super Bowl geführt - mit einem unfassbaren Comeback-Sieg bei den favorisierten Kansas City Chiefs, gerade mal eine Woche nach dem Comeback-Sieg gegen die favorisierten Tennessee Titans. Was es nicht gab: Freudentänze, Selbstlob, Kampfansagen. Burrow wirkte eher wie einer, der zufällig am Stadion vorbeigekommen und von den Bengals gefragt worden war, ob er heute den Spielmacher geben könne - das Spiel dann gewinnt und danach lieber die anderen anstatt sich selbst lobt.
"Unsere Defensive war in der zweiten Halbzeit einfach nur grandios", sagte er nach dem 27:24 nach Verlängerung - zwischenzeitlich hatte es 21:3 für die Chiefs gestanden: "Das ist jetzt kein prickelnder Zwischenstand, aber wir hatten das Gefühl, dass das nicht unbedingt vorbei ist. Wenn mir jemand vor ein paar Jahren gesagt hätte, dass ich mal mit den Bengals das Finale erreichen würde, hätte ich diese Person für verrückt erklärt - jetzt überrascht mich das nicht wirklich." Nochmal: Wie cool ist der Typ?
Nach einer Verlängerung bezwingen die Bengals überraschend die Kansas City Chiefs und verhindern so die dritte Super-Bowl-Teilnahme des Favoriten in Serie.
Burrow kommt ohnehin immer ein bisschen daher wie einer, dem man zutraut, morgens um fünf aus der Diskothek zu torkeln und Leute beim Freizeit-Football auf der Wiese zu fragen, ob er ein bisschen mitzocken könne. In der linken Hand Absacker und Zigarre, die er währenddessen nie weglegt - und natürlich würde er gewinnen und danach allen feixend zur Gaudi gratulieren. Das unterscheidet ihn von anderen Spielmachern: Tom Brady sieht auf dem Spielfeld immer aus, als würde ihm irgendwas Sorgen bereiten; Aaron Rodgers wie ein fünffacher Familienvater, kolossal genervt von anderen Vätern, weil die den neuen Grill nicht würdigen; Cam Newton tut so, als wäre er Superman.
Man sollte keinesfalls den Fehler machen und Burrow diese Nonchalance als Schwäche auslegen - ganz im Gegenteil: Es ist ja ein Zeichen von Unsicherheit, wenn sich einer dauernd gegen die Brust trommelt oder permanent auf die eigene Großartigkeit hinweist. Burrow hält sich ans wunderbare Mantra "Jantelagen", das Abba-Legende Björn Kristian Ulvaeus so beschrieben hat: "Warum prahlen - vor allem, wenn man es gar nicht nötig hat?"