Eine große Retrospektive von Camille Pissarro im Kunstmuseum Basel
Frankfurter Rundschau
Über den Sinn für den Übergang von Nähe und Ferne und das Wagnis des Eigenlebens der Farben.
Die Mehrheit der Besucher der mit Leihgaben aus aller Welt brillierenden Retrospektive auf das Werk von Camille Pissarro im neuen Erweiterungsbau des Kunstmuseums in Basel wird die nahe an zweihundert Bilder als „schöne“ Malerei wahrnehmen. Vor allem Pissarros Landschaften und dabei zumal die alten Wege, die sie unter weiten Himmeln durchziehen, aber auch die Menschen und ihr Verhältnisse wie er sie erfasst, führen fast wehmütig zurück in die Zeit einer anderen, längst vergangenen Welt. Und behaupten einen Begriff von Schönheit, den die aktuelle Moderne so kaum mehr kennen will.
Was dieser Eindruck des Werks von Pissarro allerdings womöglich verdeckt, ist die Vorstellung der außerordentlichen Kühnheit, mit der dieser Maler gegen die bei vielen seiner Zeitgenossen im letzten Drittel des 19.Jahrhunderts eindeutige Ablehnung festhielt an seiner Malweise und deren theoretischen Voraussetzungen. Welche Prämissen bestimmten für ihn die Praxis seiner Kunst? In einer grundsätzliche Bemerkung (wohl gegenüber Cézanne) fordert Pissarro: Die wahre Kunst sei, „Unwirklichkeit üben“. Das ist ein Schlüssel, der helfen kann, sich die ästhetische Position des Malers und das unerhört Neue daran zu erschliessen.
Es geht ihm darum, an den realen Motiven der Aussenwelt, ob es sich nun um Wälder, Wiesen, dörfliche Umgebungen handelt oder um Frauen und Männer bei ihrer Arbeit, oft als Bäuerinnen und Bauern, dem Betrachter eine Wahrheit zu vermitteln, die vor allem die Wahrheit einer Empfindung ist. Es lässt sich also sagen: Die Realität der Aussenwelt wird im einzelnen Gemälde zur Wirklichkeit der Innenwelt dessen, der sich darauf einlässt.