
Eine Anklageschrift, die verstörende Einblicke gibt
n-tv
Am 8. August 2022 um 16:27 Uhr führt das Schicksal fünf Polizisten und den 16-jährigen Mouhamed Dramé zusammen. An diesem Tag endet ein Leben und fünf andere laufen in vollkommen neue Bahnen. Am Dortmunder Landgericht wird der tödliche Einsatz verhandelt.
Der Große Schwurgerichtssaal platzt aus allen Nähten. Das Dortmunder Landgericht liegt eingezwängt zwischen der Hamburger Straße, die die Stadt in Richtung östliche Vororte öffnet, und dem Kaiserstraßenviertel. Am Hintereingang an der Hauptstraße haben sich drei Stunden vor Prozess-Beginn rund 30 Zuhörer versammelt. Sie warten im Dezemberregen, der auf der anderen Seite auf das Zelt der Mahnwache für Mouhamed Dramé fällt. Vielleicht 100 Menschen sind gekommen, um an den am 8. August 2022 in der Dortmunder Nordstadt getöteten Senegalesen zu erinnern. Was damals passiert ist, wird in dem Gebäude hinter ihnen verhandelt. Fünf Polizisten müssen sich für den Tod des erst eine Woche zuvor in Dortmund angekommenen Jugendlichen verantworten.
Das Opening Statement von Christoph Krekeler, dem Anwalt des Hauptangeklagten Fabian S., gibt ein wenig Einblick in das Seelenleben des Schützens. Der Angeklagte und seine Familie seien durch das Verfahren "sehr belastet", an diesem 8. August sei alles sehr schnell gegangen. Die Schritte Dramés habe nicht nur er in diesem Moment als bedrohlich empfunden. In der Tat, weniger als eine Sekunde lagen zwischen dem Taser-Einsatz und den tödlichen Schüssen. "In dieser Situation kam es meinem Mandanten auf die Hautfarbe von Mouhamed Dramé überhaupt nicht an", sagt Krekeler. Als sich der Saal geleert hat, wiederholt der Verteidiger die Sätze im Vorraum. Ein paar Meter weiter steht die Anwältin Lisa Grüter. Sie nennt das Statement "schwierig" und wundert sich, dass an erster Stelle die "Belastung der Familie des Angeklagten" steht. Dann zerstreuen sich die Menschen wieder.
Ungewöhnlich viel Polizei säumt die Kaiserstraße schon Stunden vor dem Prozessauftakt, zahlreiche Wannen stehen an den Enden der Einkaufsstraße. Vor einer Bäckerei warten Zivilbeamte, die die Szenerie beobachten. Viel bekommen sie nicht zu sehen. Das Wetter, die Vorweihnachtszeit und wohl auch der Tag aktivieren nicht mehr Leute. Der Solidaritätskreis Justice4Mouhamed ruft zu Spenden für die Familie des Getöteten auf. Sie sollen dem Prozess beiwohnen können. Noch ist nicht klar, ob es klappen wird. Sie stellen sich auf einen langen, kräftezehrenden Prozess ein. Um sie herum schwirren die Abgesandten der Medien.
