Djokovic und der Graben
Frankfurter Rundschau
Der serbische Tennisspieler erklärt, dass er sich auch zukünftig nicht impfen lassen will. Der Fall weist tief in die gespaltenen Gesellschaften. Ein Kommentar.
Alles andere als ein Bekenntnis von Novak Djokovic dazu, dass er sich auch in Zukunft nicht gegen eine schwere Erkrankung mit dem Coronavirus impfen lassen wird, wäre einer Sensation gleichgekommen. Der Serbe dokumentiert damit im Grunde nur das Faktische: Die große Mehrheit der Menschen, die bisher nicht zur Impfung bereitgewesen ist, wird es auch in Zukunft nicht sein. Jedenfalls nicht aus eigenem Antrieb, und auch dann nicht, wenn ihnen daraus schmerzliche Nachteile entstehen - im Fall von Djokovic gar der Verzicht auf die größten Tennisturniere und damit viel Geld und viel Ruhm.
Wer sich im Privaten mit diesen Leuten intensiv unterhalten hat, bekommt in der Regel zu verstehen, dass sie sich derzeit wie Menschen zweiter Klasse fühlen, weil sie vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen werden; dass sie weit über das Maß des Erträglichen hinweg gegängelt werden, fundamental an der Demokratie und dem Erhalt der Freiheitsrechte zweifeln und der herrschenden Meinung der Wissenschaft schlicht keinen Glauben schenken. Dass sie andere Quellen haben, die es besser wissen; dass sie dem Robert Koch-Institut nicht trauen und Karl Lauterbach verachten. Dass sie am liebsten auswandern würden (Bulgarien und Paraguay stehen derzeit besonders hoch im Kurs) und nicht nachvollziehen können, warum die unkritische Mehrheit nicht endlich zur Besinnung kommt.
Es ist ein Graben, der sich durch die Gesellschaft zieht, durch Familien und Freundeskreise. Eine zahlenmäßig keineswegs unbedeutende Minderheit ist (ja nicht nur hierzulande) zu Wutbürgern geworden, eine Minderheit von mehreren Millionen Menschen, die vorher gar nicht wusste, dass sie überhaupt das Potenzial zum Wutbürgertum hätte.