Die Jagd nach dem "Roten Gold"
DW
Edelkorallen sind begehrt. Designer nutzen sie für Kollektionen, die Preise steigen. Nicht nur legale Händler profitieren davon - rund ums Mittelmeer ist ein lukrativer Schmuggel entstanden. Darunter leidet die Natur.
Mourad Arfaoui hat sein Leben den Korallen gewidmet. In seinem kleinen Laden im tunesischen Tabarka verarbeitet der Kunsthandwerker sie zu Schmuck. In den vergangenen 20 Jahren hat es immer gereicht, um seiner Familie ein gutes Leben zu ermöglichen. "Alle packen im Laden mit an. Ein paar arbeiten vormittags, andere kommen am Nachmittag", erzählt der Tunesier stolz. "Wir stellen hier den gesamten Korallen-Schmuck selbst her – von der Rohware bis zum Verkauf. Meine Söhne sind hier im Laden quasi aufgewachsen."
Arfaouis Heimatort Tabarka liegt an Tunesiens nördlicher Mittelmeerküste, nur rund 200 km von der italienischen Insel Sardinien entfernt. Seit Jahrhunderten dreht sich in der kleinen Hafenstadt alles um Edelkorallen. Doch immer mehr lokale Geschäftsleute geben auf: Ihnen geht schlichtweg der Nachschub aus. Und wenn sie doch an eine neue Lieferung von den offiziellen Korallen-Tauchern aus der Region kommen, sind die Preise oft unerschwinglich. Neun von zehn Geschäfte hätten bereits geschlossen, erzählen die Bewohner hier.
Auch Mourad glaubt nicht mehr daran, dass seine Kinder das Geschäft weiterführen werden. "Irgendwann gibt es hier wahrscheinlich überhaupt keine Korallen mehr. Sie werden einfach verschwinden", befürchtet der Kunsthandwerker. "Die Knappheit führt schon jetzt dazu, dass sich die Leute hier den Korallenschmuck nicht mehr leisten können. Bei einer Kette aus hochwertigen Edelkorallen geht der Preis schnell in die Tausende."
Edelkorallen – auch Rote Korallen genannt – sind einfach gebaute Tiere und kommen vor allem im Roten Meer und im Mittelmeer vor. Da sie lichtscheu sind, leben sie meist in Hunderten Meter Tiefe. Wegen ihrer wichtigen Rolle für das lokale Ökosystem werden sie von Einheimischen auch die Roten Bäume des Mittelmeeres genannt. Seit der Antike sind sie in der Region allerdings auch ein gefragter Rohstoff zur Schmuckherstellung. Unzählige Taucher sind auf der Jagd nach ihnen ums Leben gekommen. Die Weltnaturschutzunion (IUCN) hat Edelkorallen in ihre Rote Liste gefährdeter Arten aufgenommen.
Lange Zeit wurden Korallen mit riesigen Schleppnetzen gefangen, die die Bestände an einigen Orten fast komplett vernichteten. Seit den 1980er Jahren ist diese Praxis in den meisten Ländern verboten. 2019 verabschiedete die Fischerei-Kommission für das Mittelmeer (GFCM) eine Reihe weiterer Vorgaben, um Edelkorallen vor dem Aussterben zu bewahren. Unter anderem wird darin nur noch das Tauchen in Tiefen von mehr als 50 Metern erlaubt. Außerdem wurden alle Mitgliedsländer aufgerufen, ein System zu entwickeln, das die Herkunft der Edelkorallen besser nachvollziehbar macht. Auch in Tunesien dürfen inzwischen nur noch ein paar Dutzend lizensierte Taucher Edelkorallen fangen – zumindest offiziell.