Die Alternativlosigkeit ihrer Lage
Süddeutsche Zeitung
Über das mächtige Märchen von der sozialen Mobilität: Natasha Browns Roman "Zusammenkunft" erzählt von den Schwierigkeiten des sozialen Aufstiegs im Großbritannien der Gegenwart.
Ein Buch, in dem vordergründig nicht viel passiert: ein Vortrag, eine Beförderung, eine Diagnose und ein Besuch auf dem Land. Eine Protagonistin, die namenlos bleibt und mit wenigen biografischen Eckdaten umrissen wird: eine junge britische Frau, deren Eltern vor ihrer Geburt aus der Karibik eingewandert sind und der eine glänzende Karriere im Finanzwesen gelungen ist. Aufgrund ihres Erfolgs hält sie für ihren Arbeitgeber an Schulen Vorträge über Diversität.
Die Zusammenkunft, die dem Roman seinen Titel gibt, spielt sich an einer Londoner Schule ab, wo sie von den sozialen Aufstiegsmöglichkeiten in ihrer Bank berichtet: "Es ist eine Geschichte. Sie handelt von Herausforderungen. Von harter Arbeit. Sich am Riemen reißen. Hochgerollten Hemdsärmeln ... Ich trage meine alten Sätze vor wie neue Weisheiten. Klicke zur nächsten Folie. Hinter mir lächeln riesige, diverse Gesichter in grauen Anzügen, zeigen auf Grafiken, schütteln Hände und winken." Natürlich bürgt sie in dieser Situation mit ihrer Biografie für das meritokratische Versprechen des gesellschaftlichen Aufstiegs durch individuelle Leistung.
Belügt die Protagonistin ihr junges Publikum? Das ist nicht leicht zu beantworten: Die Anstellung in der Londoner City hat ihr tatsächlich erlaubt, sich einen Weg von der Unterschicht in die Mittelschicht zu erkämpfen. Der Erfolg manifestiert sich in einer smarten Garderobe, einer stilvollen Eigentumswohnung in einem Townhouse. Sie kann sich nun eine private Krankenversicherung leisten, die ihr Besuche in luxuriösen Arztpraxen ermöglicht. Sie lässt ihr Vermögen von einem Berater verwalten und findet auch Anschluss an die britische Oberschicht. Ihr Freund stammt aus einer aristokratischen Familie.
Natascha Brown: Zusammenkunft. Roman. Aus dem Englischen von Jackie Thomae. Suhrkamp Verlag, Berlin 2022. 113 Seiten, 20 Euro.
Dies alles spielt sich in dem Roman der britischen Debütautorin Natasha Brown ab, die in Cambridge studiert und selbst über viele Jahren im Londoner Finanzsektor gearbeitet hat. In knappen Sätzen und auf kaum mehr als 100 Seiten werden in einer Folge atmosphärisch dichter Vignetten, die Beobachtung und Reflexion kunstvoll verschränken, Alltagsszenen aus dem Leben der Aufsteigerin skizziert: Kollegen, die übergriffig sind und dann beteuern, es sei doch eigentlich gar nichts geschehen; Männer, die so tun, als könnten nur Frauen Kaffeemaschinen bedienen; Mitmenschen, die unterstellen, sie müsse aus Afrika kommen.