Der Sonderling fordert den Matador
Frankfurter Rundschau
Daniil Medwedew zieht in einem hitzigen Halbfinale ins Endspiel von Melbourne ein. Dort wartet Rafael Nadal mit einem geschichtsträchtigen Vorhaben.
Vor genau fünf Jahren spielte Rafael Nadal auch die Hauptrolle in einem Tennismärchen bei den Australian Open, allerdings nicht als strahlender, glücklicher Sieger. Roger Federer war damals nach monatelanger Verletzungspause in Melbourne auf die Centre Courts zurückgekehrt, er gewann dann in der Rod-Laver-Arena Runde um Runde, bis er im Finale zu guter Letzt seinen ewigen Gegenspieler Nadal in einem knapp vierstündigen Endspielkrimi bezwang. Federers Coup anno 2017 zählt bis heute zu den größten Überraschungen der modernen Grand-Slam-Geschichte.
Und nun, Ende Januar 2022, entfaltet sich beim Auftakt-Slam tatsächlich eine Wiederholungsgeschichte mit frappierend ähnlichem Drehbuch. Jedenfalls bis ins Finale, nun eben mit Senor Nadal als zupackendem Rückkehrer, der drauf und dran ist, ein kaum fassbares Comeback mit dem Pokalgewinn Down Under zu krönen. Nach seinem 6:3, 6:2, 3:6, 6:3-Halbfinalerfolg gegen den Italiener Matteo Berrettini ist der bullige Stierkämpfertyp jedenfalls nur noch einen Sieg vom vorher eher unwahrscheinlichen Sprung auf den Australian-Open-Thron entfernt – und damit auch dem Rekordtitel Nummer 21 in der ewigen Grand-Slam-Wertung.
„Ich schaue nicht auf die Zahlen. Ich bin glücklich, wieder Tennis spielen zu können und eine Chance auf den Turniersieg zu haben“, sagte der 35-jährige Mallorquiner. Im Finale bekommt er es am Sonntag (9.30 Uhr/Eurosport) mit dem Russen Daniil Medwedew zu tun, der in einem Reizduell gegen Stefanos Tsitsipas (Griechenland) schließlich souverän 7:6 (7:5), 4:6, 6:4 und 6:1 gewann.
Ende des zweiten Satzes hatte der streitbare Medwedew mit einem Wutanfall gegen Schiedsrichter Jaume Campistol für beträchtliche Aufregung gesorgt. Nachdem ihn der spanische Referee mit einer Verwarnung für eine „obszöne Geste“ belegt hatte, aber keine „Gelbe Karte“ für das verbotene Coaching von Tsitsipas-Vater Apostolos zeigte, schrie ihn Medwedew beim Pausenwechsel mit den Worten an: „Bist Du dumm? Wie kann man in einem Halbfinale nur so schlecht sein? Hörst Du mir überhaupt zu?“
Nadal, der alte Meister der Tennisschlachten, hatte da längst sein Grand-Slam-Tagwerk erledigt. Der Matador könnte auf einmal der unerwartete Profiteur dieser außergewöhnlichen Australian Open werden – denn nach der verletzungsbedingten Absage von Federer war ja auch der zweite Rivale im historischen Rennen um Major-Titel, Frontmann Novak Djokovic, buchstäblich aus der Konkurrenz gefallen. Nadal blieb nach der Einreise-und-Ausweisungs-Posse um den serbischen Weltranglisten-Ersten als einziger der ehemals Großen Drei übrig und nutzte seine verlockenden Grand-Slam-Möglichkeiten mit typischer Leidenschaft, Willenskraft und Nervenstärke aus.