Der langsame Tod der russischen Luftfahrt
DW
Die totgesagte russische Luftfahrt fliegt immer noch, trotz internationaler Sanktionen. Doch wie lange kann das gut gehen ohne die Zufuhr von wichtigen Ersatzteilen? Oder kann Moskau kritische Teile selbst ersetzen?
Im Gegensatz zu den Erwartungen vieler Experten ist die russische Luftfahrtbranche nicht unmittelbar nach dem Inkrafttreten internationaler Sanktionen implodiert. Mit dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine sperrte die westliche Staatengemeinschaft ihren Luftraum für russische Flugzeuge. Zahlreiche Airlines beendeten ihre Kooperationen mit russischen Partnern und die Luftfahrtgiganten Airbus und Boeing stellten die Lieferungen von Ersatzteilen nach Russland ein.
Schnell waren sich viele Stimmen einig: Die russische Luftfahrtindustrie überlebt keine zwei Wochen. Doch mehr als ein halbes Jahr später scheint sich das nicht bewahrheitet zu haben. In Russland hat sich für die meisten Passagiere, zumindest auf Inlandsflügen, fast nichts verändert. Wie kann das sein?
"Es liegt an einer Kombination verschiedener Ursachen", sagt der US-amerikanische Luftfahrtexperte Richard Aboulafia von der Consultingfirma AeroDynamic Advisory. "Durchlässige Sanktionen, vorhandene Ersatzteillager, kreative Notlösungen und das Kannibalisieren der vorhandenen Flugzeugflotte."
Russlands Airlines betrieben vor dem Beginn des Ukraine-Krieges mehr als 800 Flugzeuge fast ausschließlich westlicher Bauart. Insgesamt wurden im Jahr 2019, vor der Coronakrise, mehr als 120 Millionen Passagiere von russischen Airlines befördert, so ein von der russischen Staats-Airline Aeroflot herausgegebener Überblick. Mehr als die Hälfte davon flog auf internationalen Routen. Doch seit dem Ausbruch des Krieges sind diese internationalen Flug-Routen, aufgrund der Sanktionen, fast komplett eingestellt worden.
Laut Aboulafia sei das Wegbrechen fast 50 Prozent der Flugrouten gleichzeitig ein Segen für russische Airlines. Denn der gesunkene Bedarf ermöglicht das Ausschlachten vieler Flugzeuge, die am Boden bleiben müssen. "Es ist nun deren Priorität, Inlandsflüge zu erhalten. Und wenn man sich keine Sorgen mehr machen muss, die internationalen Routen zu bedienen, dann kann man seiner Flotte eine Menge Meilen ersparen. Somit kann man diese freigewordenen Ressourcen und Ersatzteile in den Inlandsbetrieb stecken."