Der DFB in Moll und Dur
Frankfurter Rundschau
Hansi Flick und seine Spieler müssen vor dem Druckspiel in Polen den unbequemen Alltag meistern, derweil die Verbandsspitze sich ein Jahr vor EM-Start mit der Politik verbündet.
Beim Deutschen Fußball-Bund tanzen sie gerade langsamen Walzer und Cha-Cha-Cha auf mehreren Hochzeiten. Am Mittwoch nach dem ernüchternden 3:3 des DFB-Teams gegen die Ukraine und vor dem Test in Warschau gegen Polen (20.45 Uhr/ARD) sah das so aus: In Gravenbuch vor den Toren von Frankfurt krabbelte Sportdirektor Rudi Völler schon um halb sechs aus der Koje, um pünktlich um sieben die Frühsendung von Radio FFH zu moderieren; auf dem verbandseigenen Campus blinzelte Bundestrainer Hansi Flick bald danach beim intensiven Übungsprogramm streng gegen die noch tiefstehende Sonne auf seine Eleven. In Berlin hatte da schon Bundeskanzler Olaf Scholz exakt ein Jahr vor dem Eröffnungsspiel der EM 2024 im eigenen Land mit Innenministerin Nancy Faeser, DFB-Präsident Bernd Neuendorf und Turnierdirektor Philipp Lahm um die Wette in die Kameras gelächelt - und schließlich präsentierten sich Flick und die beiden einheimischen Nationalspieler Emre Can und Kevin Trapp beim One-Year-To-Go-Event der Stadt Frankfurt im Herzen der Stadt an der Hauptwache.
Wobei der Blick der Protagonisten in Stollenschuhen gerade noch nicht aufs Turnier im nächsten Sommer geweitet ist. Stattdessen: Tunnelblick auf Polen. Das erscheint ihnen allen miteinander notwendig nach den seltsam verkorksten Auftritten der jüngeren Vergangenheit. Am Dienstagabend begab sich der gesamte Kader zur Pflege des Teamgeists quer durchs Rhein-Main-Gebiet nach Oberursel zum Bowlingcenter „Magic Bowl“. Die „Bild“-Zeitung war zeitig informiert, nachdem sie „fünf Knallhart-Forderungen“ aufgestellt hatte und aus dem vertrauten „Hansi“ in der Schlagzeile auf das distanziertere „Das ist viel zu wenig, Herr Flick!“ umgeschwenkt war.
Erfahrene Bundestrainer wissen: Wenn sie vom Boulevard gesiezt werden, wird die Luft dünner. Ehe irgendwelche Zweifel aufkommen, war es Rudi Völler im Frühdienst am Mikrofon deshalb auch ein dringendes Anliegen, verbal zu doppeln: „Hansi Flick ist ein absoluter Toptrainer.“
Dem dürfte am Morgen bei der Lektüre der meinungsbildenen Gazetten eine gewisse Kühle in der Interpretation der Gesamtsituation nicht entgangen sein. „Von einer misslungenen Momentaufnahme zu sprechen, wäre ignorant und eine Verharmlosung“, schrieb die „SZ“ und führte aus, Flick habe bisher mit seiner zweiten Chance nach dem vermurksten WM-Turnier in Katar „lediglich neue Zweifel an seiner Arbeit erzeugt“.
Der „Kicker“ befand kaum gnädiger: „Statt Aufbruch herrscht Alarmstimmung“, der Bundestrainer mache „am Seitenrand einen ratlosen Eindruck“, das Erscheinungsbild der Mannschaft sei „von vorn bis hinten nicht stimmig“, ergo müsse Flick „schleunigst Lösungen finden und Ergebnisse vorweisen. Sonst verlieren immer mehr den Glauben, dass mit dem einstigen Bayern-Erfolgstrainer bis zur EM ein Turnaround möglich ist“.