Das Misstrauen bleibt
Süddeutsche Zeitung
Während Kardinal Reinhard Marx seine Sicht auf das Gutachten zu Missbrauchsfällen im Erzbistum München und Freising vorträgt, formulieren Kirchenkritiker klare Forderungen. Solche kommen auch aus der Politik.
Vor der Katholischen Akademie in Schwabing steht am Donnerstagvormittag ein weißer Sprinter, auf dem ein Transparent mit Karikaturen befestigt ist: Der emeritierte Papst Benedikt hält sich die Augen zu und sieht nichts. Der Münchner Erzbischof Kardinal Marx hält sich die Ohren zu und hört nichts. Und der Kölner Erzbischof Kardinal Woelki hält sich den Mund zu und sagt nichts. Auf der anderen Seite des Sprinters die Bild-Schlagzeile "Wir sind Papst" sowie eine umformulierte Version davon aus der fiktiven Zeitung Bid (Bischöfe in Deutschland): "Wir sind schuldig." Komplettiert wird das Protest-Ensemble von einer Großplastik, die einen grinsenden Kleriker zeigt, weich gebettet in einer zwischen Kreuzen aufgespannten Hängematte, darauf der Schriftzug: "12 Jahre schonungslose Aufarbeitung der Missbrauchsfälle".
Drinnen beginnt Kardinal Marx gleich mit seiner Pressekonferenz zum vergangene Woche vorgestellten Missbrauchsgutachten. Draußen drücken Kritikerinnen und Kritiker der katholischen Kirche ihre Wut und ihre Enttäuschung aus. Da ist zum Beispiel Michael Wladarsch vom "Bund für Geistesfreiheit München". Nichts weniger als "einen echten Erdrutsch" erwartet er sich von diesem Tag. Ein Schuldeingeständnis, das auch klar mache, dass die Institution Kirche "keine Sonderrechte und keinen Sonderstatus hat, sondern eine ganz normale Institution ist", in der es neben vielen guten Menschen auch Fehler und Verbrecher gebe.
Fast eine Woche nach der Veröffentlichung des Münchner Missbrauchsgutachtens meldet sich Kardinal Reinhard Marx ausführlich zu Wort. Das sind seine wichtigsten Aussagen.
Wladarsch setzt vor allem auf die Politik, auf die "säkulare Ampel", die Schluss machen müsse mit diesem Sonderstatus - das kirchliche Arbeitsrecht und die kirchliche Justiz müssten abgeschafft werden. So sieht das auch Maximilian Steinhaus von der Giordano-Bruno-Stiftung. Sie hat zur Protestaktion aufgerufen, gemeinsam mit dem "Bund für Geistesfreiheit" und dem Aktionsbündnis Betroffeneninitiativen, dem verschiedene Gruppierungen angehören. Wenn selbst der Papst gelogen habe, sagt Steinhaus, könne man auch nicht davon ausgehen, dass die Kirche den Gutachtern alle Akten zur Verfügung gestellt habe.
Das Protestbündnis hat deshalb nach eigener Aussage Kardinal Marx angeboten, am Nachmittag alle noch nicht vernichteten Akten zu Missbrauchsfällen der gesamten Nachkriegszeit am Archiv des Erzbistums abzuholen und zur Staatsanwaltschaft zu transportieren, auf dass diese tätig werde. Sollte das Erzbistum das Angebot ausschlagen, so kündigte das Bündnis an, werde man symbolisch Akten beim Archiv des Erzbistums abholen und vom Königsplatz zum Landgericht tragen.
