
"Das ist die russische Frage, mit der wir konfrontiert sind"
n-tv
Der Historiker Philipp Ther sieht in der Rolle Russlands in Europa Parallelen zur "deutschen Frage" des 19. und 20. Jahrhunderts. "Deutschland war zu groß und zu mächtig, um in das europäische Staatensystem integriert zu werden", sagt er im Interview mit ntv.de. "Aber Deutschland war auch nicht stark genug, um Europa zu dominieren. Bei Russland ist man mit einem ähnlichen Problem konfrontiert."
ntv.de: Putin hat dem Westen bei der Militärparade in Moskau am Dienstag vorgeworfen, einen "echten Krieg" gegen Russland angefangen zu haben. Wie sind solche Reden einzuschätzen, wie viel Realitätsbezug hat ein Präsident, der so spricht?
Philipp Ther: Um den Realitätsbezug geht es bei solchen Auftritten nur bedingt. Es geht um die Fernsehbilder, die große Parade, die Demonstration militärischer Macht, verbunden mit Drohungen und Siegesankündigungen - um die Bevölkerung bei der Stange zu halten und weitere Soldaten zu mobilisieren. Es ist ja nicht das erste Mal, dass Putin den "Tag des Sieges" der Sowjetunion über Nazi-Deutschland nutzt, um den jetzigen Krieg in die Tradition des Großen Vaterländischen Krieges zu stellen. Das ist natürlich ein Stück weit widersprüchlich, weil der Krieg gegen die Ukraine nicht einmal Krieg genannt werden darf, sondern nur "militärische Spezialoperation". Aber über die Fernsehbilder ist diese Siegespropaganda vermutlich recht erfolgreich.
Zugleich ist offensichtlich, dass der Krieg für Russland nicht gut läuft. Ist das ein Problem für Putin?
