
Das Geheimnis von Whitney Houstons Stimme
DW
Vor zehn Jahren starb Whitney Houston. Die US-Sängerin perfektionierte eine Gesangstechnik, die schon Jahrhunderte überdauert hat: Melisma. Bestes Beispiel dafür: Ihr Kulthit "I Will Always Love You".
Manche Lieder werden so unvergleichlich schön vorgetragen, dass sie gar keine instrumentale Begleitung brauchen. Dazu gehört auch Whitney Houstons Version von "I Will Always Love You" - ein Coversong des Hits von Country-Sängerin Dolly Parton aus dem Jahr 1974. In den ersten Zeilen nimmt Houston uns ganz ohne Instrumente mit auf eine klangliche Reise: Stimmlich lotet sie alle Höhen und Tiefen aus und spielt dabei mit den Worten. Der schmerzvolle Abschied und das Versprechen einer nie endenden Liebe gehen bei jedem Ton unter die Haut.
Geschickt baut der Song eine dramatische Zäsur ein, bevor Houston die ganze Kraft ihrer Stimme entfesselt. Es ist die gleiche stimmliche Urgewalt, mit der sie den Menschen schon bei anderen Gelegenheiten schlichtweg den Atem raubte: mit Songs wie "One Moment In Time" bei den Olympischen Sommerspielen in Seoul 1988, mit "All the Man That I Need" aus dem Jahr 1990 und mit ihrer Version der US-amerikanischen Nationalhymne beim Super Bowl 1991.
Die Popdiva besaß die Fähigkeit, einzelne Silben virtuos mit wechselnden Tonfolgen über mehrere Oktaven auszuschmücken. Gesangsprofis nennen diese nahezu akrobatische Technik "Melisma". Sie sei auch unter dem italienischen Begriff "Koloratur" bekannt, erklärt die Gesangslehrerin Sandra Toner-Uhl aus Frankfurt im DW-Gespräch. Toner-Uhl stand selbst 55 Jahre in ganz Europa als Opernsängerin auf der Bühne und kennt sich mit dem Effekt bestens aus. "Das bedeutet, dass man dem Ton Farbe gibt, indem man mehrere Töne auf einen Vokal legt."
Melismatischer oder auch Koloraturgesang ist seit Jahrhunderten in vielen Kulturen verbreitet: in gregorianischen Mönchsgesängen, beim Ruf des Muezzin zum Gebet oder in der indischen Raga-Musik. Im weltweit populären Weihnachtslied "Hört der Engel helle Lieder" aus dem 18. Jahrhundert wird die erste Silbe im Wort "Gloria" auf ganze 16 Noten gestreckt.
Heutzutage hört man melismatischen Gesang in der Oper, im Gospel, im Soul, im Rhythm and Blues und im Pop - wie bei Whitney Houston.
