Borussia Dortmund bedient alle Klischees
Frankfurter Rundschau
Nach dem blutleeren K.o. im Pokal beim Zweitligisten St. Pauli gehen dem BVB die Ziele aus. Der Wankelmut der Mannschaft macht den Verantwortlichen zu schaffen.
Direkt im Anschluss an den Coup vom Heiligengeistfeld hat die ARD eine wie gemalt passende Dokumentation gezeigt: „Das Pokal-Wunder des FC St.Pauli“, und das war keine Wiederholung des eben gerade aufgeführten 2:1-Pokal-Wunders gegen Borussia Dortmund. In dem Film ging es um jenes legendäre Pokal-Viertelfinale aus dem Jahr 2006 gegen Werder Bremen, damals eine Spitzenmannschaft mit Johan Micoud, Miroslav Klose, Tim Wiese an erster Stelle, es war eisig, der Platz gefroren, oben seifig, dazu legte sich eine dichte Schneeschicht drüber. Unbespielbar nölten die Bremer, genau das richtige für einen kecken Underdog wie St. Pauli. Das Ende vom Lied: Die Kiezkicker, damals Drittligist, kickten die stolzen Bremer mit 3:1 aus dem Pokal. Dummerweise kam dann im Halbfinale der FC Bayern.
Das kann jetzt nicht mehr passieren, die Bayern sind nicht mehr dabei, auch Borussia Dortmund nicht, Bayer Leverkusen nicht, die Creme de la Creme der Liga hat sich längst verabschiedet aus diesem Wettbewerb, und gerade Dortmund, der Titelverteidiger, hatte sich nach dem Aus des Allergrößten einiges ausgerechnet. Und nun stehen sie wieder da wie die Belämmerten, müssen spöttische Schlagzeilen wie jene des „Spiegels“ lesen: „In Dortmund sagt man Tschüss.“
Die Dortmunder tun aber auch alles dafür, dass immer wieder gerne die alten Vorurteile herausgekramt werden, als da wären; mangelnde Mentalität, keine Typen, zu viel Beißhemmung, zu wenige, die sich gegen Widerstände auflehnen. Womöglich sind es ja gar keine Vorurteile, vielleicht ist es die Realität. Selbst Trainer Marco Rose befeuerte alsbald die Kritik an seinem Luxuskader, der in unschöner Regelmäßigkeit nicht präsent ist, wenn es darauf ankomme. „Es ist einfach doof, dass wir diese Klischees bedienen“, musste er konstatieren, das sei weder „zu erklären“ noch „zu entschuldigen.“
Rose, mit viel Aplomb in Gladbach losgeeist, hinterlässt jetzt nicht den Eindruck, als wisse er, wie sein Team wenigstens zu einer gewissen Konstanz und Stabilität zurückfinden könne. Dabei hatte er zu Jahresbeginn, nach der erfolgreichen Aufholjagd beim 3:2 in Frankfurt, vollmundig von „einer Haltung“ gesprochen, die seine Mannschaft an den Tag gelegt habe, endlich. Aber schon gegen die Eintracht war wenig Gold, was spät glänzte, hätten die Hessen den Sack mit einem leicht möglichen 3:0 zugemacht, hätte Rose das mit „der Haltung“ nie und nimmer herausstellen können.
Und doch ist erstaunlich, wie eine Mannschaft vier Tage nach einem glorreichen 5:1 gegen allerdings indisponierte Freiburger derart blutleer auftritt gegen einen Zweitligisten, selbst nach dem Anschlusstreffer von Erling Haaland Stunde mussten die Hamburger nur eine halbe Stunde noch Routinearbeiten verrichten, um ihr Tor sauber zu halten. Wer freilich gesehen hat wie etwa Thomas Meunier, am Freitag zweifacher Torschütze, ungläubig geguckt hatte, als ihm einmal wegen des holprigen Platzes der Ball versprungen war, konnte in etwa eine Ahnung kriegen, wie es um die Einstellung der Profis bestellt sein dürfte. Unwägbarkeiten waren nicht eingeplant. Und dass Offensivkraft Marco Reus schon nach vier Minuten in der eigenen Abwehr aushelfen musste (und wie schon gegen Eintracht Frankfurt kläglich gegen Etienne Amenyido scheiterte), sagt auch einiges über die Missbalance im BVB-Spiel. Richtig zur Sache ging Reus eh erst hinterher beim TV-Interview: „Sollen wir jetzt aufgeben?“, raunzte der BVB-Kapitän. Dabei hatte die ARD-Reporterin nur Fakten aufgezählt: Raus im Pokal, raus aus der Champions League, in der Liga sechs Punkte hinter den Bayern. Dem BVB sind jetzt, nach etwas mehr als der Hälfte der Runde, weitgehend bereits alle Saisonziele ausgegangen.