Bahn oder Bäume? Heftiger Streit ums ICE-Werk
Süddeutsche Zeitung
Im Raum Nürnberg soll ein Instandhaltungswerk entstehen, doch der Protest dagegen ist groß. Zwar gilt der Zugverkehr als klimafreundlich - doch für das Projekt müsste ein Teil des Reichswaldes weichen.
Wenn man Carsten Burmeister etwas nicht nachsagen kann, dann mangelnde Leidensfähigkeit oder fehlende Diplomatie. So lange Corona es zuließ, zog er durch Säle voll mit Menschen, die ihn stundenlang mit Kritik überschütteten. Mit ruhig und sachlich vorgetragenen Argumenten drang Burmeister selten durch, weil sie kaum einer hören wollte. Was er vortrug, wurde reflexartig bezweifelt - oder gleich als falsch deklariert. Trotzdem lobte er dieser Tage in seinem Videoblog die "sehr konstruktiven Gespräche mit Bürgerinnen und Bürgern". Es freue ihn, dass "die sachliche Gesprächsbereitschaft immer gegeben war und weiterhin gegeben sein wird".
Carsten Burmeister ist als Projektleiter der Blitzableiter der Deutschen Bahn, wenn es um das geplante ICE-Instandhaltungswerk im Raum Nürnberg geht. Mehr als 400 Millionen Euro will der staatliche Schienenkonzern dort investieren und etwa 450 tarifgebundene Arbeitsplätze für Facharbeiter schaffen. Sie sollen vor allem nachts reparieren, was Fahrgäste täglich nervt: verstopfte Toiletten, defekte Klimaanlagen, Bordküchen oder digitale Sitzplatzanzeigen. Nürnberg ist einer der wichtigsten Knotenpunkte im deutschen Schienen-Fernverkehr, daher die Standortauswahl.
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Als die Bahn im Herbst 2020 ihren Nürnberg-Plan verkündete, kriegten sich nicht nur Ministerpräsident Markus Söder und Oberbürgermeister Marcus König (beide CSU) kaum ein vor Begeisterung. Eine solche Investition ausgerechnet in der alten Eisenbahnerstadt, wo 1835 der erste Zug in Deutschland losfuhr. Wo Ende des zwanzigsten Jahrhunderts Zehntausende Industriearbeitsplätze wegfielen. Wo man jahrzehntelang neidisch auf München deutete, weil doch angeblich alles dort konzentriert werde, die großen Firmen, die großen Investitionen, die großen Jobmaschinen. Und dann die Ankündigung der Bahn, in Nürnberg zu investieren, in sichere Arbeitsplätze in der Zukunftsbranche Klimaschutz. Besser könne es doch kaum laufen, oder?
Die Begeisterung von damals ist längst dahin. Die Realität seither ist jene des Carsten Burmeister. Er erlebt sie täglich, wenn er mit Menschen vor Ort, online, telefonisch oder eben auf Versammlungen kommuniziert. Im Oktober war er in Wendelstein südöstlich von Nürnberg, 16 000 Einwohner. 300 Leute im vollen Saal und viele im Freien vor der Tür, wohin die Bürgerversammlung per Video übertragen wurde. "Wir werden bis zum Ende kämpfen", drohte eine aufgewühlte Frau vor einer Fernsehkamera.