Aufbruch auf dem Land
Süddeutsche Zeitung
In normalen Jahren würde jetzt die Grüne Woche starten, das Festival der Landwirtschaft. Doch die Messe fällt wieder aus - in einem Jahr, in dem sich so viel Wandel ankündigt wie nie.
Was es alles nicht gibt in den nächsten Tagen: Berliner, die sich an Essensständen vorbeischieben. Messehallen mit Kuhställen und Pferdeboxen, lange Treckerkonvois und Demonstranten mit Trillerpfeifen. Zum zweiten Mal in Folge fällt die Grüne Woche, eine der größten Agrarschauen weltweit, der Pandemie zum Opfer - und das ausgerechnet in den ersten Wochen einer neuen Bundesregierung. Was es trotzdem gibt: Jede Menge Aufbruch, viele ungelöste Baustellen - und endlos Sprengstoff. Ein Überblick.
Weniger Tiere in Ställen, Ausgleich für Bauern
Dichtes Gedränge: Nicht nur Schweine sollen mehr Platz im Stall bekommen.
Allein 23 Millionen Schweine leben in diesem Land, dazu elf Millionen Rinder. Die Bedingungen in den Ställen entsprechen zwar europäischen Vorgaben, nicht aber dem, was sich viele Verbraucher unter artgerechter Haltung vorstellen. In ihrem Koalitionsvertrag stellten SPD, Grüne und FDP den Tierschutz gleich an den Anfang des Agrarkapitels, und weit vorne steht er nun auch für den neuen Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne). Noch in diesem Jahr will er eine verbindliche Kennzeichnung von Fleischprodukten einführen. Sie soll Aufschluss darüber geben, wie es dem Vieh ergeht, wie viel Auslauf es bekommt und wie viel Platz im Stall. "Wenn es dann mehr Luft gibt im Stall, weniger Tiere", sagt Özdemir, "dann muss es auch kompensiert werden."
Einen Vorschlag dazu hatte schon in der vorigen Legislaturperiode eine Kommission unter Vorsitz des einstigen Agrarministers Jochen Borchert (CDU) erarbeitet. Landwirte sollten hier verbindlich Mittel für den Umbau ihrer Ställe erhalten, die Kommission veranschlagte sie auf bis zu 3,6 Milliarden Euro jährlich. Aufbringen sollten das entweder die Verbraucher, über eine Fleischabgabe, oder der Steuerzahler. So könnte die Mehrwertsteuer für Fleischprodukte von sieben auf 19 Prozent erhöht werden - wenn die Koalition sich darauf verständigen kann. Damit nicht genug, steht doch häufig das Baurecht gegen den Umbau der Ställe, es müsste entsprechend geändert werden. Und viel Zeit bleibt auch nicht: Vielen Betrieben steht das Wasser bis zum Hals, seit die Schweinepest die Exportmärkte hat zusammenbrechen lassen. Umweltschützer verlangen schon seit Langem, dass die Zahl der Nutztiere sinkt.
