Arm in einer wohlhabenden Region
Frankfurter Rundschau
In Europa sollen alle Kinder die gleichen Chancen haben. Die Realität sieht anders aus – auch in Deutschland.
Die öffentliche Zustimmung war erwartungsgemäß grenzenlos, als die Europäische Kommission zum Frühjahr ihre erste umfassende Kinderrechtsstrategie vorstellte. Sie bildet die Grundlage für das erklärte Ziel, die Chancengleichheit aller von Armut und sozialer Ausgrenzung bedrohten Kinder in der EU zu fördern. Nur auf diese Weise, so die nachvollziehbare Argumentation, könnten diese sich ebenso wie alle anderen entwickeln. Der EU-Rat sprach von einem „Recht der Kinder, ihr Potenzial unabhängig von ihrem sozialen Hintergrund voll auszuschöpfen“, und forderte alle 27 Mitgliedstaaten auf, bis März Aktionspläne zu entwickeln. Das hörte sich überzeugend an.
Bei allem moralischen Beifall für die sogenannte Kindergarantie sollte jedoch nicht vergessen werden, dass es sich dabei vorerst um eine ambitiöse Vision handelt. Die Wirklichkeit sieht auch in der EU anders aus. Fast 18 Millionen Kinder sind in dieser wohlhabenden Region der Welt von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht. Diese horrende Zahl nennt der EU-Rat in seinem Vorschlag zur Einführung einer europäischen Garantie für Kinder. Das bedeutet, dass etwa jedes fünfte Kind (22 Prozent) in einem folgenreichen Kreislauf der Benachteiligung steckt, aus dem es nach unseren Beobachtungen nur schwer (beziehungsweise selten) herausfindet.
Der mangelhafte Zugang auch in Deutschland zu frühkindlicher Bildung führt oft zu sozialer Ausgrenzung, die schlechte schulische Leistungen, Schulabbrüche, später Langzeitarbeitslosigkeit nach sich ziehen kann. In diesem prekären Klima wächst dann die nächste Generation heran. Darüber hinaus wirken sich auch beengte Wohnverhältnisse und im Extremfall Obdachlosigkeit als Bremsen auf die Entwicklung aus. Nicht zu reden vom Kampf der Eltern, wenn es um Rechner für den Fernunterricht, die Teilnahme an außerschulischen Aktivitäten oder dergleichen geht.