Argentinien: Erst grenzenloser WM-Jubel, dann die Zäsur
DW
Die wohl emotionalste Fußball-Hauptstadt der Welt, Buenos Aires, setzt auch beim Feiern neue Maßstäbe. Argentinien genießt einen historischen Moment. Was danach kommt, ist erst einmal weit weg.
Die Achterbahn der Gefühle in Buenos Aires war in den Mittagsstunden Ortszeit überall zu hören und zu sehen. Nach der 2:0-Halbzeitführung tanzten die Menschen nicht nur am Obelisken im Stadtzentrum, sondern auch auf den Balkonen. Doch dann folgten Schreie des Entsetzens. Gleich zweimal glichen die Franzosen die Führung der Argentinier aus, zweimal waren überall verzweifelte "No, No!"-Rufe aus den Wohnzimmern, den Cafés oder Restaurants zu hören. Doch Argentinien wäre nicht Argentinien, wäre vor dem WM-Triumph nicht auch eine große Portion Leidensfähigkeit notwendig gewesen. Und so explodierte nach einer zwischenzeitlichen Totenstille schließlich am frühen argentinischen Nachmittag die Freude im ganzen Land.
Die Nation, die so sehr in zwei politische Lager gespalten ist, findet an diesem Tag zusammen. Lagerfeuerstimmung. Die Journalistin Pola Oloixarac von der Tageszeitung "La Nacion" beschreibt das verbindende Element der "Albiceleste" mit einem durchaus passenden Vergleich: "Die Nationalmannschaft ist das, was die britische Krone für England ist. Sie vermittelt ein Zugehörigkeitsgefühl und lässt eine Frusttoleranz zu."
Nun strömen die Menschen aus der ganzen Stadt hin zum Obelisken. "Argentinien ist Weltmeister. Wir haben die Copa", rufen die Fans. Wirklich alle tragen das Trikot der argentinischen Nationalmannschaft, und so gut wie alle haben die Nummer 10 und Messi auf dem Rücken stehen. Der wurde kurz vorher im Fernsehen noch "unser Messias" genannt. In Argentinien ist Fußball eben auch Religion.
"Messi steht jetzt auf einer Stufe mit Maradona", sagt ein Fan, der sich "Messi, ich liebe dich" auf seine Haut geschrieben hat. Dann zieht er schnell weiter. Alle wollen zum Obelisken. Für die, die unter 40 Jahre alt sind, ist es der erste WM-Triumph überhaupt. Vor allem die Jungen feiern deswegen ausgelassen.
Eine Achterbahn der Gefühle steht den argentinischen Fans auch in den nächsten Jahren vor. Denn irgendwann wird Weltstar Lionel Messi das argentinische Nationaltrikot endgültig ausziehen. Eine WM wird er nicht mehr spielen, kündigte Messi an. Ob es noch einmal eine Copa America 2024 zu Messis Abschied in Argentinien gibt, wie einige am Rio de la Plata spekulieren, ist bislang nur ein Gerücht. Aber eines, dass von Messi selbst befeuert wird: "Ich genieße die Nationalmannschaft und möchte noch ein paar Spiele als Weltmeister spielen", sagte der "Messias" und öffnete damit die Tür für die Gerüchte ein Stück weiter.