
Anne Duden wird 80: Stolpernde Herzen
Frankfurter Rundschau
Am 1. Januar wird Anne Duden 80 Jahre alt.
Der erste Satz des ersten Buches, das ich von Anne Duden las, lautete: „Ich bin ständig auf der Flucht vor anderen Menschen. Sie haben nur eins im Sinn: mich auszubeuten oder umzubringen“ („Übergang“, 1982). Das war nicht meine Erfahrung, aber es war das Bild, das auch ich mir gemacht hatte von der Gesellschaft, in die wir hineingeboren waren.
Gewalt und Zerstörung sind sicher die großen Themen von Anne Dudens Prosa, Gedichten und Essays. Die Grenzen zwischen den Genres schmelzte sie immer wieder auf. Ich las sie begeistert. Denn auch in ihre Texte schlug die Gewalt ein. Manchmal merkte ich es erst Sätze später. So kühl waren ihre Beschreibungen und so genau. In dem Buch mit dem bewundernswerten Titel „Der wunde Punkt im Alphabet“ (Berlin 1995) beginnt ein Text mit diesem Satz: „Selbst beim besten Willen lässt sich nicht mehr übersehen, dass das Leben schön geworden ist.“ Und so endet er nach wenigen Seiten: „Bald kann auch noch das letzte Fleckchen Erde luft- und wasserdicht zugedeckt werden, so dass die Autos schlussendlich mit der schon lange angestrebten Totalgeschwindigkeit in alle Richtungen über alles – auch die letzten stolpernden Herzen und geöffneten Augen – hinwegflitzen können.“
Die stolpernden Herzen und die geöffneten Augen treffen den Leser als Pfeile einer wahren Empfindung mitten in einem Satz, wie wir alle sie damals schrieben. Aber aus Anne Dudens versteinerten Sätzen brach immer wieder eine ihr ganz eigene Lava hervor. Sie erinnerten Leserinnen und Leser an die die Gesellschaft bestimmende Gewalt und zugleich brachen sie sie auf, indem sie uns hellhörig machte für sie.