
Anne Boyer: „Die Unsterblichen“ – Dehnübungen in die Schmerzzone
Frankfurter Rundschau
Der intensive und auch wütende Essay „Die Unsterblichen“: Die US-amerikanische Lyrikerin Anne Boyer setzt sich angesichts ihrer eigenen Krebserkrankung mit körperlichem Leiden und Kapitalismus auseinander.
Literatur wagt sich gerne in Zonen extremer Erfahrung. Dahin, wo die Alltagssprache oft nicht mehr hinreicht und gängige Phrasen versagen. In „Die Unsterblichen“ geht es um intensive Schmerzerfahrungen, welche die amerikanische Autorin Anne Boyer am eigenen Körper ertragen musste: Denn 2014 wurde bei der damals 41-Jährigen ein hoch aggressiver Brustkrebs diagnostiziert. Die Erfahrung von Schmerz und Verlust, die sie während ihrer Chemotherapien und Operationen erlebte, beschreibt Boyer mit ungewöhnlichen Sätzen: „Es gibt den Zustand, sich wie eine Stadt zu fühlen, die für ihre Ruinen berühmt ist.“ Oder: „Ich fühle mich wie eine Schlange auf einem Pfad im gesprenkeltem Sonnenlicht, die sich bei genauerem Hinsehen nur als abgeworfene Schlangenhaut entpuppt.“ Dank solch kühner Sprachbilder werden vermeintlich unsagbare Erfahrungen des Krankseins zu Literatur. Wohl auch deswegen gewann die Autorin 2020 den Pulitzer-Preis.
Dass beim Schreiben über eine Krebserkrankung etliche Gefahren lauern, weiß Boyer: Dazu gehören Voyeurismus, Rührseligkeit, Klischees, Schönfärberei oder „Pathopornografie“. Krankheiten dienen oft auch als schnittiger Plot für eine leicht konsumierbare Überlebensgeschichte. Aus solchen Texten, moniert Boyer, ist oft „jegliche Geschichte wegdesinfiziert“, und in ihnen zeigt sich „keinerlei Spur eines Leidens“ mehr.
Dieser dienstwilligen Art des Erzählens weicht Boyer konsequent aus und setzt ihr eine eklektische Mischung aus Tagebuch, politisch-philosophischem Essay und literaturhistorischer Untersuchung entgegen. Das schreibende Ich zeigt sich ungeschönt, die Sprache – aufgebrochen von Erschöpfung, Schmerz und Angst – gerät immer wieder aus der Fassung.













