Angst vor Deportation und Raub: Was im besetzten Enerhodar passiert
DW
Die russischen Besatzer haben angeordnet, die ukrainische Stadt Enerhodar zu evakuieren, in der das AKW Saporischschja steht. Die Situation scheint chaotisch. Bewohner berichten.
"Ich bin extrem besorgt über die sehr realen Sicherheitsrisiken", sagt der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Rafael Grossi, über die Situation rund um das von Russland besetzte ukrainische Atomkraftwerk Saporischschja. Ihm zufolge wird die Lage "zunehmend unberechenbarer und potenziell gefährlicher". Daher betont Grossi auf der Website der IAEA: Um die Gefahr eines schweren nuklearen Unfalls und die damit verbundenen Folgen für Bevölkerung und Umwelt zu verhindern, müsse das AKW geschützt werden.
Grossi hatte die größte Nuklearanlage Europas im März besucht. Seine jetzige Warnung sprach er aus, nachdem Moskau angeordnet hatte, die Stadt Enerhodar zu evakuieren, auf deren Gebiet sich das Atomkraftwerk befindet, weil der ukrainische Beschuss angeblich zunimmt. Die meisten Mitarbeiter des AKW Saporischschja leben in Enerhodar.
IAEA-Experten, die sich in dem Atomkraftwerk befinden, bestätigen, dass die Evakuierung bereits begonnen habe. Nach Angaben der ukrainischen Behörden bringen die Besatzer die Menschen in andere besetzte Teile der Region Saporischschja und auf die Halbinsel Krim.
"Von der Evakuierung betroffen sind 13 Orte an der Kontaktlinie, darunter Enerhodar, Dniprorudne, Wassyliwka, Tschernihiwka, Polohy, Tokmak, Wodjane und Kamjanka. Man macht den Menschen Angst, warnt vor einer Gegenoffensive der ukrainischen Armee. Deshalb müsse man für zwei Wochen nach Berdjansk evakuiert werden", sagt ein aus Enerhodar geflohener Abgeordneter des Stadtrats. Er möchte namentlich nicht genannt werden, denn er fürchtet, seine Eltern könnten drangsaliert werden, da sie sich noch im besetzten Gebiet befinden.
Pawlo*, ein früherer Mitarbeiter des AKW Saporischschja, erzählt, dass von der örtlichen Schule Nr. 2 und vom Städtischen Krankenhaus aus mehrere Tage lang Bewohner von Enerhodar weggebracht worden seien. Sowohl die Schule als auch das Krankenhaus seien von bewaffneten russischen Soldaten umstellt gewesen. "Die Evakuierung leitet ein Kollaborateur, Schwiegersohn eines ehemaligen Direktors des Kraftwerks. Noch werden nur diejenigen weggebracht, die weg wollen oder sich vor der Rückkehr der ukrainischen Behörden fürchten. Wir haben aber Angst, dass man uns später mit Gewalt noch deportieren wird."