„Sie konnte verbranntes Menschenfleisch riechen“
Die Welt
Mit 96 Jahren steht Irmgard Furchner in Schleswig-Holstein vor Gericht, weil sie im Dritten Reich Sekretärin des KZ-Kommandanten von Stutthof war. Welche Rolle genau sie damals bei der systematischen Tötung tausender Menschen gespielt hat, versucht ein Historiker einzugrenzen.
Sie wird am Dienstag um kurz nach 10 Uhr wieder im Rollstuhl in den Saal gefahren werden, einem umfunktionierten Konferenzraum aus den 60er Jahren in einer Logistik-Firma in Itzehoe. Sie wird ihr Gesicht verhüllen, damit es keine Bilder von ihr gibt. Ihre weißen Locken, ihr wacher Blick, die knochigen Hände – dieser Anblick bleibt den Zuschauern und Prozessbeteiligten vorbehalten, die am Verfahren gegen die ehemalige KZ-Sekretärin teilnehmen. Irmgard Furchner ist 96 Jahre alt, und wie ein Mantra begleitet eine Frage ihren Prozess: Muss die alte Dame wirklich vor Gericht, eine steinalte Frau, die „nur“ Sekretärin in einem Konzentrationslager war?
An diesem Tag soll es Antworten auf diese Frage geben, in der immer auch Mitgefühl für die Angeklagte anklingt, die sich erst am Ende ihres Lebens für ihre Tätigkeit als Sekretärin des KZ-Kommandanten von Stutthof rechtfertigen muss. Die Staatsanwaltschaft wirft ihr Beihilfe zum Mord in 11.412 Fällen vor. Das Lager bei Danzig existierte vom 2. September 1939 bis zur Kapitulation 1945. Die Deutschen ermordeten dort etwa 65.000 Menschen, die meisten davon waren Juden.