„Freiheit bedeutet nicht: ,Ich kann tun und lassen, was ich will‘“
Frankfurter Rundschau
Jörn Didas erklärt im FR-Interview, wie Verschwörungserzählungen und Esoterik zusammenhängen und warum wir als Gesellschaft eine Langzeitstrategie dagegen brauchen.
Herr Didas, wie schätzen Sie die Corona-Proteste in ländlichen Strukturen ein?
Corona-Demonstrationen gibt es zum Beispiel auch in einer kleinen Kreisstadt wie St. Wendel im Saarland, bei der Personen mit Davidstern auf die Bühne gehen und Anhänger:innen der Verschwörungstheorie QAnon teilnehmen und sprechen. Bei den Demonstrationen geht nicht nur die extreme Rechte auf die Straße, sondern Menschen aus unterschiedlichen Milieus. Eine Studie der Universität Basel, die der Frage nachging, aus welchen gesellschaftlichen Milieus sich das „Querdenker“-Lager in Baden-Württemberg speist, kam zu dem Ergebnis, dass sich im Unterschied zu Ostdeutschland, wo die extreme Rechte stärker tonangebend ist, hier insbesondere Gruppen engagieren, die sich selbst dem linksalternativen und dem anthroposophischen Milieu zuordnen würden.
Ich würde noch hinzufügen, dass es bei nicht wenigen auch einen Hang zum Esoterischen gibt. Wir beobachten auch, dass es Kooperationen der Lager gibt. Wenn man sich die einschlägigen Telegramgruppen anschaut, sieht man, dass bekannte Rechtsextreme munter mitdiskutieren und Ideen einbringen. Gleichzeitig werden auch Yogamatten bei Demonstrationen ausgepackt. Und wir beobachten, dass die Abgrenzung zum Rechtsextremismus häufig eine Fassade ist. Wir sehen also diese Anschlussfähigkeit von Ideologie und Personen an den organisierten Rechtsextremismus in diesen „Querdenker“-Kontexten sehr deutlich. Die sehr unterschiedlichen Gruppen haben in den letzten Monaten ihre verbindenden Klammern entdeckt.
Was haben ökologische Strömungen mit Rechtsradikalismus zu tun?
Die Verbindung ökologischer Themen mit völkischer Ideologie hat in Deutschland eine lange Geschichte und Tradition. Bis heute spielen Naturschutz und Ökologie in der extremen Rechten eine durchaus wichtige Rolle, der sich unter dem rechtsextremen Slogan „Naturschutz ist Heimatschutz“ zusammenfassen lässt. Im Sinne der „Blut und Boden“-Ideologie des Nationalsozialismus sind Rechtsextreme der Ansicht, dass der „Lebensraum“, in dem ein Volk lebe, einen direkten quasi naturgesetzlichen Einfluss auf dieses Volk ausübe. In diesem Sinne trägt ein ökologischer Landbau z. B. zur gesunden Erhaltung und Stärkung des Volkes bei. Wir sehen in den letzten Jahren fast im gesamten Bundesgebiet im ländlichen Raum Versuche von Rechtsextremisten, entsprechende Höfe aufzubauen. Gekoppelt war die völkisch-ökologische Ideologie immer auch bereits mit esoterischen und naturreligiösen Aspekten.