Über Neapels Hafen glühen die ewigen Diego-Feuer
n-tv
Der erste Scudetto in diesem Jahrtausend, der erste seit Diego. In Italien spielt sich ein modernes Fußball-Wunder ab. Die SSC steigt aus der Asche der Insolvenz empor, gibt dem Süden des Landes den Stolz zurück. Nach dem 1:1 bei Udinese Calcio gibt es kein Halten mehr und oben leuchtet Maradona.
Es ist die denkbar schlechteste Metapher, aber eben die passendste: Als sich die SSC Neapel am Donnerstagabend nach 33 zehrenden Jahren wieder zum italienischen Fußball-Meister gekürt hatte, da brachen die Gefühle aus den Gli Azzuri heraus wie glühende Lava. Man soll ja am Fuße des Vesuvs nichts heraufbeschwören, schließlich liegt der letzte Ausbruch knapp 80 Jahre zurück, aber es war eben eine vulkaneske Eruption, die die Hauptstadt der Region Kampanien erschütterte. 60.000 Menschen brachen im Stadio Diego Armando Maradona in Tränen aus, 10.000 waren es in Udine. Dort holt die SSC beim 1:1 den letzten Punkt. Alle Zweifel waren ausgeräumt.
Um zu begreifen, welche Lava-Brocken von den geschundenen Seelen der Neapolitaner gefallen sind, braucht es einen Blick in die Jahre 1990 und 1991. Damals verzauberte Maradona diesen leidenschaftlichen Klub, die Stadt, das Land, den Kontinent. 1990 stürmte die Mannschaft zum zweiten Meistertitel. Der argentinische Weltstar und seine genialen Kumpel Bruno Giordano und Careca, die Angriffsreihe "Ma-Gi-Ca", waren eine Fußball-Sensation. Doch die Zeit auf dem Thron endete abrupt. Maradona stürzte ab und mit ihm der Klub. Wegen Dopings wurde das Genie gesperrt, der Verein offenbarte schwere finanzielle Turbulenzen.
Es folgten Jahre voller Demütigungen und zerstörten Hoffnungen: Abstiege, Aufstiege, Lizenzentzug, Konkurs. Das war 2004. Der Verein wurde neu gegründet. Nur einer blieb: Diego! Als Neapel sich nun auf den Titel vorbereitete, thronte er, der im November 2020 verstorbene, über der Stadt, blickte auf die Menschen von Wandgemälden. Er beobachte sie aus den mit Liebe gezimmerten Schreinen, die sich an jeder Ecke dieser in Vorfreude ganz blauweiß werdenden Hafenstadt breitmachten. Fußball ist in Napoli Glaube und Diego der Heilige.